Studium EKIW ®

Rundbrief August 2008

Jenseits der Schatten und Illusionen

Margarethe Randow-Tesch

Wie auch andere philosophische oder spirituelle Systeme plädiert der Kurs in der praktischen Lebensführung für Akzeptanz gegenüber den Lektionen des eigenen Lebens, Treue gegenüber den jeweiligen Rollen, Aufmerksamkeit gegenüber den inneren Vorgängen und Schlichtheit und Freundlichkeit im Umgang mit anderen. Kurz: für Normalität mit freundlicher Bewusstheit. In Lektion 155 heißt es dazu: »Du veränderst deine Erscheinung nicht, obschon du öfter lächelst. Deine Stirn ist heiter, deine Augen blicken ruhig« (Ü-I.155.1:2-3). Auch wenn die Alltagspraxis sanft und unspektakulär ist, ist doch ihr theoretischer Unterbau ein sehr eigener und sollte sinnvollerweise verstanden werden, wenn man mit dem Kurs arbeitet.

An zwei Stellen wird die Welt im Kurs als eine »Welt der Schatten und Illusionen« (T-26.VII.3; T-31.V.1:3) bezeichnet. Diese Formulierung spielt auf das platonische Höhlengleichnis an, das erzählt, wie Gefangene in einer Höhle, die nicht um die Sonne und das wahre Leben außerhalb der Höhle wissen, die Bewegungen der Schatten auf der Höhlenwand vor ihnen für die Wirklichkeit halten. Auf den Kurs übertragen, entspricht dieses eindrucksvolle Bild der Identifikation unseres Geistes mit dem Egodenksystem (Höhle) und der Welt (Höhlenwand). Nur außerhalb der Höhle des Egodenksystems lässt sich die Wahrheit finden, innerhalb der Höhle nur der Tanz wandelbarer Schatten.

Bezogen auf die Welt und unsere Existenz hier heißt die Schlussfolgerung: Wir können in ihnen keine Wahrheit, keine Stabilität oder Sicherheit, keinen Frieden und kein Glück erreichen; sie sind nicht dafür gemacht. Sie dienen im Gegenteil dazu, die Illusionen des Ego zu schützen, und diese Illusionen sind nicht freundlich: »Die Welt wurde gemacht, damit Problemen nicht entronnen werden kann« (T-31.IV.2:6). Das Glücksversprechen im Äußeren spornt uns in jungen Jahren an, und es wird bitterlich enttäuscht. Die Welt trügt; sie hält nicht, was sie verspricht. Niemandes Existenz hier hält, was sie verspricht. Diese Einsicht wird entweder lange verleugnet, oder sie macht Menschen mangels einer Alternative müde. Oder aber nachdenklich. »Zu lernen, dass die Welt nur eine Wahl anbieten kann, ganz gleich, was ihre Form sein mag, ist der Beginn des Akzeptierens, dass es stattdessen eine wirkliche Alternative gibt« (T-31.IV.6:1).

So wie im Höhlengleichnis für jenen Gefangenen, der sich befreit und das wirkliche Leben außerhalb der Höhle kennen lernt, klar ist, dass auf der Höhlenwand substanzlose Schatten tanzen, können wir die Nichtigkeit des Ego erst aus der inneren Distanz erkennen – wenn wir einen Augenblick lang nicht an seinem Denken der Schuld teilhaben. »Ein wahnsinniges Glaubenssystem kannst du nicht von innerhalb dieses Systems bewerten … Du kannst nur darüber hinausgehen und von einem Ort, wo geistige Gesundheit herrscht, zurückblicken und den Kontrast sehen« (T-9.VII.6:1,3). Es ist das Anliegen des Kurses, dass wir die Falschgesinntheit verlassen und »einen Augenblick lang vom Angriff auf [uns] selber ausruhen« (T-27.V.5:5), damit wir den Kontrast sehen. Dies ist der Prozess der Vergebung, den wir unter dem Schutz innerer Hilfe – im Kurs Jesus oder der Heilige Geist – in jedem Augenblick unseres Lebens durchlaufen können. So begreifen wir allmählich: Unsere Reaktionen auf das Äußere sind Schatten eines einzigen falschen Gedankens im Innern, des Gedankens, von der Liebe getrennt zu sein und keine Liebe zu verdienen. Wir brauchen diesen Gedanken nicht zu bekämpfen; wir müssen nur aufhören, ihn durch unsere Projektionen auf andere zu schützen, in der Einsicht, dass er uns nicht glücklich macht.

Der Kurs verspricht keine Sicherheit in der Welt. Die Sicherheit, die wir suchen, liegt außerhalb des Systems in der Ruhe unseres rechtgesinnten Geistes; sie spiegelt sich in der Welt in Form von Gelassenheit. Vom Ego her definieren wir uns als unschuldige getrennte Körper in einer Welt von anderen getrennten (und schuldigen) Körpern, die uns zu dem machen, was wir sind. Darin liegt kein Frieden. Wir brauchen dieses Selbst nicht zu heilen. Es ist nur ein Bild, »das angepasst ist an die Wirklichkeit der Welt [und das] sich für eine Welt der Schatten und Illusionen eignet« (T-31.V.1:3). Wir brauchen es lediglich in unseren gesünderen Augenblicken infrage zu stellen. Wahrheit, Liebe, Frieden und Glück sind bereits da – hinter diesem Selbstkonzept der Verletztheit. Dorthin müssen wir uns begeben, nicht durch Verleugnung von Fakten in der Welt, Verdrängung von Gefühlen, Märtyrertum oder ein alles tolerierendes Verhalten, sondern durch die kleine Bereitwilligkeit, ehrlich anzuschauen, wie wir die Verantwortung für unseren Unfrieden weggeben wollen. Im Kurs heißt es dazu: »Ist es nicht möglich, dass alle deine Probleme gelöst sind, du selbst dich aber von der Lösung entfernt hast?« (T-17.VII.2:4). Anders formuliert: Glaubst du, dass du die Illusionen des Egodenksystems wahr machen und dann irgendetwas verstehen kannst? Es ist diese geistige Offenheit, die wir vorrangig kultivieren müssen, wenn wir glücklich sein wollen.

Um zu verstehen, wie wenig wir verstehen, ist es vielleicht hilfreich, die Welt mit einer verspiegelten Scheibe zu vergleichen, wie man sie manchmal an Zügen oder Autos sieht. Von außen kann man durch die Verspiegelung nicht nach innen schauen. Von innen jedoch hat man einen völlig ungetrübten Blick nach draußen. Unserer äußerer Blick prallt ab; wir sehen nur die Formen, die die Welt uns zeigen soll: die Interaktion von Eltern und Kindern, Partnern, Freunden, Feinden etc. Wenn wir den inneren Blick schulen, schauen wir durch die Formen hindurch auf das unbewusste kollektive Trennungsdenken des Ego, an dem sämtliche Figuren hier teilhaben. Dieses Trennungsdenken, das in der Welt sehr bösartige Formen annehmen kann, ist aus der Perspektive des Heiligen Geistes nur eins: »ein Ruf nach Heilung und ein jämmerlicher Hilfeschrei in einer Welt des Elends« (T-27.VI.6:6). Wenn wir bereitwillig lernen, uns dieser Sicht zu nähern, fällt eine große Last ab, und endlich können wir lächeln.

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